Bundesverfassungsgericht lehnt Eilantrag zur Außervollzugsetzung der „einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht" nach § 20a Infektionsschutzgesetz ab und konstatiert „keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken zum Zeitpunkt der Entscheidung“.

Von Caroline Elsaesser, Rechtsanwältin

„Im Gegenteil hat es Sinn und Ziel des Staates zu sein, die Freiheit des einzelnen Menschen zu befördern und seine Würde auch dann zu achten, wenn im Interesse anderer Menschen oder der Gemeinschaft gehandelt wird.“ - Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des BVerfG (1)

In dem am 10. Februar 2022 verkündeten Entschluss, 1 BvR 2649/21 (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-012.html) führt das BVerfG aus:

 

 „Die Einführung der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Pflicht zum Nachweis einer Impfung, Genesung oder Kontraindikation in § 20a IfSG als solche begegnet zum Zeitpunkt der Entscheidung zwar keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es bestehen aber jedenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik einer doppelten dynamischen Verweisung, da die Vorschrift auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweist, die ihrerseits wiederum auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweist.“

 

Gegen § 20 a sowie die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 73 Abs. 1a Nr. 7e bis 7h Infektionsschutzgesetz (IfSG) haben mehrere Antragsteller Verfassungsbeschwerde (Hauptverfahren) verbunden mit einem Eilantrag eingelegt. Ein Eilantrag ist eine vorläufige Regelung, die aus den in § 32 Abs. 1 BVerfGG genannten, wichtigen Gründen erlassen werden kann. Im Gegensatz zum Hauptverfahren selbst wird im Eilverfahren die Verfassungswidrigkeit einer Norm wie hier des § 20 a IfSG nicht abschließend geprüft: 

 

„Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache zu entscheidende Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet.“ (2), was das BVerfG vorliegend verneint hat.

 

Somit tritt es in eine Folgenabwägung ein: Wie und auf welcher Seite sind die eintretenden Nachteile, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, der § 20 a IfSG also in Kraft bleibt, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hat und § 20 a IfSG für verfassungswidrig erklärt wird? Und wie sind die eintretenden Nachteile, wenn die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg hat? Maßgeblicher Zeitraum ist der bis eine Entscheidung in der Hauptsache ergeht.

 

Wie argumentiert das BVerfG?

Die Kriterien für die Folgenabwägung sind folgende: Sind Nachteile irreversibel oder auch nur sehr schwer revidierbar, um die Außervollzugsetzung zu rechtfertigen? Einzubeziehen sind auch die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen, also insbesondere auf die sog. vulnerablen Personen, und nicht nur diejenigen Folgen für die Beschwerdeführenden selbst (3).

 

Konkret stellte sich also die Frage, müssen die Beschwerdeführer als von der Nachweispflicht des § 20 a IfSG Betroffenen es hinnehmen, sich entweder impfen zu lassen mit den Gefahren von Nebenwirkungen, oder, wenn sie sich nicht impfen lassen, auf ihre Tätigkeit und den Lebenserwerb verzichten? Oder überwiegt der Schutz für die sog. vulnerablen Personen, die durch Ungeimpfte gefährdet werden können?

Die Nachteile beschreibt das BVerfG so: „Kommen Betroffene der ihnen in § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG auferlegten Nachweispflicht nach und willigen in eine Impfung ein, löst dies körperliche Reaktionen aus und kann ihr körperliches Wohlbefinden jedenfalls vorübergehend beeinträchtigen. Im Einzelfall können auch schwerwiegende Impfnebenwirkungen eintreten, die im extremen Ausnahmefall auch tödlich sein können“ (4).

 

Dem gegenüber stellt es die Situation der von den Auswirkungen des Gesetzes betroffenen vulnerablen Personen: „Hochaltrige Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen, einem geschwächten Immunsystem oder mit Behinderungen (vulnerable Gruppen) wären dann in der Zeit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einer deutlich größeren Gefahr ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren und deshalb schwer oder gar tödlich zu erkranken“ (5).

 

Das Ergebnis fällt zugunsten der vulnerablen Gruppen aus: „Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber“ (6).

 

Ausblick:

 

Welche Entscheidung ist auf Grund dieses Beschlusses im Hauptsacheverfahren zu erwarten?

 

Die Einführung der Nachweispflicht nach § 20 a IfSG wird vom BVerfG als nicht durchgreifend verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Dies könnte bereits ein Indiz für eine Hauptsacheentscheidung sein.

 

Dass aus verfassungsrechtlicher Sicht gegen eine Nachweispflicht, die als indirekte Impfpflicht bezeichnet werden kann und mit größten Grundrechtseinschränkungen – nämlich einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, einem Berufsausübungsverbot und dem Wegfall der Sicherung der Existenzgrundlage - verbunden ist, Bedenken bestehen, wurde in zwei Artikeln bereits dargelegt (7,8).

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Gruppe von 81 Wissenschaftlern: „Die Impfpflicht ist weder geeignet noch erforderlich noch angemessen, um die Zahl der schweren Erkrankungen effektiv zu senken und eine signifikante Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.“, die eine 70-seitige Stellungnahme als Brief an den Bundestag geleitet hat (9).

 

Hinsichtlich der dynamischen Verweisung auf die Internetseiten des RKI und PEI hat das BVerfG Bedenken, ob insoweit eine hinreichende Gesetzesgrundlage besteht. Diese Regelungstechnik, die zwischenzeitlich von vielen Verwaltungsgerichten für verfassungswidrig erklärt wurde (10), könnte aber formaljuristisch nachgebessert werden.

 

Ob die Nachweispflicht oder faktische Impfpflicht die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und die Berufsfreiheit in zulässiger Weise beeinträchtigt, wird umfangreich zu prüfen sein. Bestand wird sie wohl nur haben, wenn ein ausreichender Fremdschutz gegeben wäre. Nur dann kann eine Güterabwägung zugunsten von Schutz von Leben und Gesundheit der Allgemeinheit ausfallen.

Eine wichtige Rolle – im Rahmen der Frage, ob die Grundrechte Einzelner gegenüber dem Recht der Allgemeinheit auf Leben und körperliche Unversehrtheit zurückzutreten haben - wird die Einschätzung und Bewertung der Wirksamkeit der Covid-Impfung spielen. Trotz zahlreicher Berichte und Studien (11), dass die Impfung weder einen zuverlässigen Eigen- noch Fremdschutz erreicht, sondern bestenfalls vor schweren Verläufen schützt, schließt sich das BVerfG bisher nicht näher definierten „sachkundigen Dritten“ an: „der weitgehend nicht vermeidbare Kontakt vulnerabler Gruppen mit Personen ohne Impfschutz erhöhe die Zahl der – insofern irreversiblen – Infektionen mit schwerem oder sogar tödlichem Krankheitsverlauf“.

 

Wie der Impfschutz aber tatsächlich medizinisch und evidenzbasiert ist, wäre eine notwendig zu klärende Frage, die unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen untersucht und einer Entscheidung zugrunde gelegt werden müsste.

 

Aufgabe des BVerfG im Sinne des Grundgesetzes wäre es, das freiheitliche Prinzip zu stärken und die Würde des Menschen zu achten. Dieses Prinzip könnte seinen Ausdruck darin finden, dass eine staatlich verordnete Impfpflicht generell abgelehnt wird und dem Menschen die Möglichkeit einer freien Entscheidung und damit verbundenen Verantwortung überlassen wird.

 

Fußnoten:

  1. Hans-Jürgen Papier, Freiheit in Gefahr, Heyne Verlag
  2. Beschluss vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 2649/21, Rn. 10

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/02/rs20220210_1bvr264921.html

  1. Rn. 11
  2. Rn. 16
  3. Rn. 18
  4. Rn. 23
  5. https://afaev.de/ist-eine-allgemeine-covid-impfpflicht-mit-dem-grundgesetz-vereinbar/https://afaev.de/verstoesst-die-sog-einrichtungsbezogene-impfpflicht-im-gesundheitsbereich-nach-%c2%a7-20-a-ifsg-gegen-die-berufsfreiheit-des-art-12-gg/
  6. Differenziert bzgl. Frage der Verfassungsmäßigkeit zwischen Fremd- und Eigenschutz bei einer Impfung: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-impfpflicht-grundrechte-verfassungswidrig-verfassungsmaessig-omikron/
  7. https://www.berliner-zeitung.de/news/wissenschaftler-darum-ist-die-impfpflicht-verfassungswidrig-li.216116
  8. U.a. Pressemitteilung des BayVGH vom 03.03.2022 https://www.vgh.bayern.de/bayvgh/oeffentl/pm/index.php

https://tkp.at/2022/03/09/aerzte-zur-impfpflicht-fuer-einzelne-berufsgruppen/

 

Ist eine allgemeine Covid-Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar?

Von Caroline Elsaesser, Rechtsanwältin

Das Menschenbild des Grundgesetzes gründet auf der Vorstellung eines selbstbestimmten Individuums, das auch Verantwortung für die Gemeinschaft trägt. Ist eine Impfpolitik, die anstelle einer eigenständigen Entscheidung vom Bürger Gehorsam verlangt und ihn mit Sanktionen belangen will, mit der Idee des Grundgesetzes vereinbar?

Eine allgemeine Covid-Impfpflicht wird mit großem Einsatz der Politik vorangetrieben. Die Einführung einer formal indirekten, aber de facto gegebenen Impfpflicht durch § 20 a IfSG und die in allen Lebensbereichen um sich greifenden 2 G -Regelungen sollen Druck ausüben die Impfquote zu erhöhen. Ein weiterer Mosaikstein als „Anreiz“ sich impfen zu lassen, ist die – bereits verfassungswidrig erklärte - Verkürzung des Genesenenstatus auf (derzeit) 90 Tage durch § 2 Nummer 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV, Stand 08.02.2022, mit Verweis auf die Webseite des RKI: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.html

(Aufgerufen am 08.02.22: „Diese Vorgaben werden regelmäßig überprüft und können sich gemäß Stand der Wissenschaft ändern.“) 

Eine weitere Unsicherheit und Unkalkulierbarkeit als weiterer „Anreiz“ zur Impfung, die rechtlich mehr als fragwürdig erscheint.

Unverhohlen schreiten die Vorbereitungen für eine allgemeine Impfpflicht voran und angesichts der drastischen Konsequenzen, die den Menschen ohne Impf- oder Genesenenstatus drohen – vom Ausschluss an der sozialen Teilhabe bis zur Untersagung der Berufsausübung und Existenzvernichtung – ist es richtiger von einem faktischen Impfzwang zu sprechen.

Staatlich ausgeübter Zwang in die Willensfreiheit des Menschen – sei es durch formale Gesetze oder als Auswirkungen anderer grundrechtseinschränkender Regelungen – muss sich nach dem sog. Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 20 Abs. 3 GG (1) verankert ist, an der Frage der Verfassungsmäßigkeit, insbesondere den Grundrechten, messen lassen.

Im Folgenden soll die Betrachtung nicht unmittelbar auf die Grundrechte gerichtet werden, sondern auf das dem Grundgesetz zugrunde liegende Menschenbild und das Verhältnis von Bürger und Staat. Dieser rechtsphilosophische Hintergrund ist nicht unbedeutend, da diese beiden Kriterien erheblichen Einfluss auf die Rechtsanwendung und die Auslegung der Rechtsbegriffe haben.

Welches Menschenbild liegt dem Grundgesetz zugrunde? 

Aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und Art.1 GG „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heraus schreibt der Staatsrechtler Prof. Günter Dürig: „(…) der Mensch „ist“ Person (Individuum) kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, sich selbst bewusst zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich selbst zu gestalten.“ (2)

Das Verhältnis des Staats zum Bürger ist im Entwurf des Grundgesetzes zu Art. 1 GG so ausgedrückt: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ (3)

Die Idee des Grundgesetzes ist die eines selbstbestimmten Bürgers, der seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Seine Freiheit ist nicht unbegrenzt, sondern beinhaltet notwendigerweise eine Verantwortung für die Gemeinschaft. Der Staat hat seine Eingriffe auf das Mindeste zu beschränken, andererseits ergeben sich aber auch Schutzpflichten des Staats gegenüber den Bürgern.

Die in die Grundrechte eingreifenden Coronamaßnahmen, wie es eine Impfpflicht ist, werden von den Gerichten im Rahmen der Schutzpflicht des Staates für die Allgemeinheit, den Schutz von Gesundheit, Leib und Leben geprüft und an Hand der sog. Verhältnismäßigkeit gegen die Freiheitsrechte des Einzelnen abgewogen. Diese Güterabwägungen kommen überwiegend zu dem Ergebnis: „Hinter diesen hochrangigen Rechtsgütern der Allgemeinheit müssen die Grundrechte des Antragstellers in der derzeitigen Phase der Pandemie zurücktreten.“ (4).

Dies ist erstaunlich, denn dieses Ergebnis kann – rechtsphilosophisch betrachtet - eigentlich nur rauskommen, wenn die Art und Weise, wie diese Rechtsgüter geschützt werden sollen, nicht im Licht des selbstbestimmten Individuums gesehen wird. Ist die Art und Weise des Schutzes der Allgemeinheit bestimmt von Zwang, Bestrafung, Kollektivismus, Gehorsam und Ausgrenzung und begleitet von einer Politik, die einen „alternativlosen“ Weg propagiert und eine Zweiklassengesellschaft schafft, so liegt dem das Bild eines unmündigen, zum Gehorsam verpflichteten Bürgers, den der Staat zu seinen Zwecken einspannt, zugrunde.

Wie wirken sich die unterschiedlichen Menschenbilder, der selbstbestimmte im Gegensatz zum unmündigen Bürger, und die Position des Staates zum Bürger bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht aus?

Eine direkte oder indirekte Impfpflicht mit Sanktionen und Ausgrenzungen bedient das Prinzip autoritärer Staat und gehorsamer Bürger und entspricht nicht der Idee des Grundgesetzes. Stellt man mehr die Würde des Menschen und die Frage wie der Staat dem Menschen dienen kann in den Mittelpunkt, könnte die Schutzpflicht des Staates auf ein vernünftiges Maß beschränkt werden. Nicht das paternalistische Prinzip müsste dominieren, sondern der Zusammenhang würde sichtbar, dass freie und selbstbestimmte Menschen die Gesundheit der Allgemeinheit, die ja aus den einzelnen Menschen besteht, am besten fördern. Werden nicht durch die Verbreitung von Angst, Einfordern von Gehorsam und Ausüben von Zwang geradezu pathogene Verhältnisse geschaffen? 

Eine dem Grundgesetz und seiner Idee des selbstbestimmten Menschen würdige Vorgehensweise wäre die uneingeschränkte Möglichkeit einer freiwilligen Entscheidung zu einer (Covid-) Impfung, begleitet von einer sachlichen und evidenzbasierten Aufklärung über Nutzen und Risiken, und ohne soziale Ausgrenzung, berufliche und finanzielle Nachteile, Sanktionen und eine unabschätzbare Anzahl von weiteren fragwürdigen Impfungen befürchten zu müssen. Dies wäre ein Weg in der Krise, die Würde des Menschen zu wahren und dem Postulat, dass der Staat dem Bürger zu dienen hat, näher zu kommen.

 

 

Fußnoten:

  1. Art. 20 Abs. 3 GG lautet: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
  2. Günter Dürig (1920-1996), Professor für Staatsrecht, aus „Die Menschenauffassung des Grundgesetzes“, Jur. Rundschau vom Juli 1952.
  3. Chiemseer Entwurf des Grundgesetzes vom August 1948: Artikel 1 Abs. 1: Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen. Abs. 2 Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist unantastbar. Abs. 3 Die öffentliche Gewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen verpflichtet, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. http://www.verfassungen.de/de49/chiemseerentwurf48.htm
  4. VG Würzburg Beschluss vom 21.12.2021 – W 8 E 21.1606

 

Verstößt die sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitsbereich nach § 20 a IfSG gegen die Berufsfreiheit des Art. 12 GG?

Von Caroline Elsaesser, Rechtsanwältin

Die in § 20 a IfSG vorgesehenen behördlichen bzw. automatisch eintretenden Betretungs- und Tätigkeitsverbote für alle in den gemäß § 20 a Abs. 1 Nr.1 IfSG aufgezählten Einrichtungen Tätigen haben die Konsequenz, dass die berufliche Tätigkeit als nicht-genesene oder nicht-geimpfte Person nicht mehr ausgeübt werden kann. Mit dem Wegfall der Berufsausübung entfällt regelmäßig auch der Verdienst und damit die Existenzgrundlage.

Diese drastische Folge beschränkt sich nicht auf den betroffenen Arbeitsplatz und Einrichtung, sondern weil von der Regelung nahezu alle Gesundheitsbereiche betroffen sind, wird für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, die Ausübung ihres spezifischen gesundheitlichen Berufs wie Arzt, Krankenschwester, Pfleger nicht mehr möglich sein.

Es drängt sich daher geradezu die Frage auf, ob eine derart eingriffsintensive Regelung, die sowohl die Möglichkeit, dem gewählten und ausgeübten Beruf nachzugehen als auch mit dieser Tätigkeit den Lebensunterhalt zu verdienen, nicht nur einschränkt, sondern sogar unmöglich machen kann, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. 

Welche Stellung garantiert das Grundgesetz dem Bürger in diesen elementaren Bereichen der Wahl und Ausübung des Berufs und der Sicherung der Existenzgrundlage?

Das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „jede auf dauerhaften Erwerb gerichtete, wirtschaftlich sinnvolle in selbständiger oder unselbständiger Stellung ausgeübte Tätigkeit, die für den Grundrechtsträger Lebensaufgabe ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient (1). Die Vorschrift konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (2)“.

Der Schutz der Berufsfreiheit, der grundsätzlich durch Gesetz geregelt und beschränkt werden kann, bezieht sich sowohl auf den Aspekt der Lebensaufgabe, die der Mensch mit dem Beruf aus individuellen Gründen gewählt hat als auch auf die Sicherung der materiellen Existenz. Beide Aspekte drohen durch § 20 a IfSG gänzlich ausgehebelt zu werden. 

Wie greift § 20 a IfSG in Art. 12 GG ein?

Grundsätzlich muss unterschieden werden:

Für bereits vor dem 16.03.2022 bestehende Tätigkeitsverhältnisse regelt § 20 a Abs. 2 IfSG (3), dass alle Tätigen bis zum 15.03.2022 ein Impf-, Genesenennachweis oder eine Impfunfähigkeitsbescheinigung der Leitung der Einrichtung vorzulegen haben. Diese hat fehlende Nachweise dem zuständigen Gesundheitsamt anzuzeigen. Das weitere Vorgehen liegt im Ermessen (4) der Behörde: diese kann einen Nachweis anfordern und nach Fristablauf einen Verwaltungsakt erlassen, der dem Betroffenen das Betreten oder Tätigwerden in der Einrichtung untersagt. Wenn dieses behördliche Verbot erlassen wurde, kann dann der Arbeitgeber dieses umsetzen und wird, da die Arbeitsleistung unmöglich wird, von der Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts frei. 

Für Tätigkeitsverhältnisse, die ab dem 16.03.2022 gelten sollen, gilt § 20 a Abs. 3 IfSG (3): Personen ohne Nachweis dürfen nicht beschäftigt und nicht tätig werden. In diesem Fall tritt also ein automatisches oder selbstvollziehendes Beschäftigungs- und Tätigkeitsverbot in Kraft, ohne dass es wie im vorherigen Fall einer behördlichen Anordnung bedarf.

Zwar wird rechtlich ein Verbot, das gegenüber einer Person, die keinen Impf- oder Genesenennachweis erbringt, ausgesprochen wird, nur für eine Einrichtung erlassen bzw. tritt selbstvollziehend in Kraft. Da die Regelung des § 20 a IfSG aber den ganzen Gesundheitsbereich und alle Tätigkeiten in diesem Bereich umfasst, besteht faktisch keine Möglichkeit mehr für nicht-geimpfte oder nicht-genesenen Personen ihren Beruf in diesem Bereich auszuüben und den Lebensunterhalt zu verdienen. § 20 a IfSG kommt einem Berufsausübungsverbot gleich und gefährdet oder vernichtet dadurch die Existenzgrundlage.

Weiterhin knüpft § 20 a IfSG die Möglichkeit tätig zu werden (und die Lebensgrundlage zu verdienen) an den Status geimpft, genesen oder impfunfähig. Dieser Status ist aber im Gesetz nicht ausreichend bestimmt geregelt, sondern wird durch Verweis auf § 2 Nummer 2 oder 4 der Covid 19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung bestimmt, die wiederum den Status per Link auf die Webseite des RKI bzw. PEI subdelegiert. Die Webseite bzw. der Status kann jederzeit ohne Veröffentlichung, wie es für eine Gesetz nötig wäre, geändert werden (5). Mithin kann jeder über Nacht seinen Status verlieren; es liegt im nicht nachvollziehbaren Ermessen oder an den politischen Weisungen, wie die Impfintervalle oder Dauer des Genesenseins wohl eher verkürzt als verlängert werden.

Bereits aus diesen kurzen Darlegungen wird sichtbar, dass die Impfpflicht im Gesundheitsbereich mit dem Grundgedanken der Berufsfreiheit, wie er vom Bundesverfassungsgericht präzisiert wurde, nicht vereinbar ist und deswegen einen Verstoß gegen Art. 12 GG darstellt.

 

 

Fußnoten:

  1. BVerfGE 105, 265
  2. BVerfGE 103, 172 m.w.N.
  3. Der genaue Gesetzestext des IfSG https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/
  4. 07.02.2022: Söder will Pflege-Impfpflicht aussetzen: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-soeder-bayern-impfpflicht-100.html
  5. VG Osnabrück 3. Kammer, Beschluss vom 04.02.2022, 3 B 4/22

https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE220022538&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

 

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